Hauptvortrag I

Professor Dr. Dieter Wolff (Wuppertal):


Die Fremdsprachendidaktik: Eine Disziplin im Spannungsfeld von Theorie (Anspruch) und Praxis (Wirklichkeit)

Abstract


Die Fremdsprachendidaktik beschäftigt sich mit dem Lernen von Fremdsprachen in institutionellen Kontexten. Während sie zunächst den schulischen Erwerb der modernen Fremdsprachen nach dem Vorbild des grammatikorientierten Zugangs zu den alten Sprachen modellierte, entwickelte sie in einer zweiten Phase, beeinflusst von strukturalistischen Vorstellungen einer deskriptiv orientierten Linguistik und einer behavioristisch orientierten Lernpsychologie, Konzepte des Sprachlernens, die stärker auf den mündlichen Gebrauch der Fremdsprachen ausgerichtet waren, sich aber durch ein mechanistisch geprägtes Verständnis vom Lernen  charakterisierten. Erst in den letzten vierzig Jahren hat sich, wiederum beeinflusst durch jüngere lernpsychologische, linguistische und psycholinguistische Strömungen, ein Verständnis vom Erwerb einer Fremdsprache entwickelt, das stärker prozessorientiert auf die Kompetenzen fokussiert, die zum Gebrauch einer Sprache erforderlich sind. Jede dieser fremdsprachendidaktischen Schulen war bzw. ist also verankert in einer sprachwissenschaftlichen und lernpsychologischen Theorie, die eine bestimmte epochale Grundströmung widerspiegelt. Jede dieser Schulen hat aber auch versucht, eine Theorie der Praxis der jeweiligen Theorie zu entwickeln, die als Leitbild für die konkrete Unterrichtspraxis dienen und die Umsetzung in das praktische Unterrichtsgeschehen erleichtern sollte. Dies ist in den verschiedenen fremdsprachendidaktischen Schulen in unterschiedlichem Maße gelungen.

In meinem Vortrag möchte ich dieses Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis für die aktuell beobachtbaren und zum Teil miteinander konkurrierenden fremdsprachendidaktischen Ansätze ausloten und gleichzeitig verdeutlichen, inwieweit die theoretischen Ansprüche in der schulischen Wirklichkeit realisiert werden können. Neben einem häufig anzutreffenden eher eklektischen Ansatz, der vor allem auf persönlichen Erfahrungen der Lehrpersonen rekurriert und nur selten einer Theorie verpflichtet ist, sind es vor allem drei Strömungen, die ich zu identifizieren vermag: (1) die so genannte kommunikative Didaktik in ihren verschiedenen Spielarten, die zumindest von der Theorie her heute als mainstream Fremdsprachendidaktik bezeichnet werden kann, (2) der Ansatz, der mit dem Stichwort Lernerautonomie verbunden ist und in der unterrichtlichen Praxis in Deutschland bisher kaum vertreten ist, und schließlich (3) das so genannte bilinguale Lehren und Lernen, bei dem ein Sachfach in der Fremdsprache vermittelt wird. Gerade dieser Ansatz tritt im tertiären Bildungsbereich immer stärker in den Vordergrund. Die drei zuletzt genannten Ansätze werden im Mittelpunkt meines Vortrags stehen.


Biodata

Dr. Dieter Wolff ist emeritierter Professor für Angewandte Psycholinguistik an der Bergischen Universität in Wuppertal. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sprachverarbeitung in einer zweiten Sprache, Schulischer Fremdsprachenunterricht und Bilinguale Erziehung. Er war sechs Jahre Vizepräsident der AILA (Association Internationale de Linguistique Appliquée) und über Jahre hinweg Mitherausgeber dreier Zeitschriften zur Angewandten Linguistik und zum Fremdsprachenunterricht (Die Neueren Sprachen, Neusprachliche Mitteilungen aus Unterricht und Praxis, International CLIL Research Journal). Zurzeit berät er verschiedene europäische Regierungen im Hinblick auf den Bilingualen Sachfachunterricht. Ein besonderer Schwerpunkt seiner Beratertätigkeit im nationalen Rahmen liegt auf dem früh beginnenden Fremdsprachenunterricht.

Er nahm an einer Reihe von europäischen Projekten teil, z.B. zuletzt in dem von der EU finanzierten CCN-Projekt (CLIL Cascade Network) und einem Projekt zur Entwicklung von Curricula für die CLIL-Lehrerausbildung, das vom Europarat finanziert wurde. Ein Projekt mit dem Goethe Institut Mailand zum Bilingualen Sachfachunterricht wurde vor wenigen Monaten abgeschlossen. Das in diesem Zusammenhang entstandene Buch CLIL in deutscher Sprache in Italien – Ein Leitfaden, das auch in italienischer Übersetzung vorliegt, ist im italienischen CLIL-Kontext inzwischen weit verbreitet. 

Zurzeit arbeitet er als wissenschaftlicher Berater für den Schulverlag Plus in Bern an der Entwicklung eines Französischlehrwerks (Mille feuilles/Clin d‘oeil) für den Anfängerunterricht. Es geht hier darum, Lehrmaterialien zu entwickeln, die auf neuen fremdsprachendidaktischen Konzepten basieren, d.h. schülerorientiert und authentisch sind.

Seine Veröffentlichungsliste umfasst 12 Bücher und mehr als 220 Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften, Handbüchern und Sammelbänden. Seine Buchveröffentlichung Fremdsprachenlernen als Konstruktion: Grundlagen einer konstruktivistischen Fremdsprachendidaktik wurde 2002 von Peter Lang veröffentlicht und erschien 2009 in der zweiten Auflage. Zum bilingualen Sachfachunterricht veröffentlichte er mehr als 30 Aufsätze in renommierten internationalen Zeitschriften und in Sammelbänden.